Mittwoch, 27. Januar 2016

Milo geht alleine!


Milo ist nun sechs Jahre alt. Er lebt mit seiner Mama in einer hübschen Dachwohnung. 
Dort hat er ein großes Kinderzimmer mit vielen Spielsachen. Einige dieser Spielsachen sind nicht mehr für Kinder in seinem Alter geeignet, sagt Mama, aber trennen möchte er sich noch nicht so gerne von ihnen. 
Da ist zum Beispiel dieser bunte Holzklotz an dem man kleine Holzfiguren einen dicken Draht mit Looping und Schraube entlang schiebt.
Das macht Milo schon lange nicht mehr. Er nutzt den bunten Holzklotz für etwas ganz bestimmtes. Das Gestell mit den Figuren und dem Draht kann man vom Klotz herunterheben und so tut sich ein prima Hohlraum auf. Darin lagern viele wichtige Dinge mit denen Milo die Welt entdeckt.
Das wichtigste Utensil ist der Lupenbecher. Ein Lupenbecher ist ein Durchsichtiges Gefäß mit abnehmbarem Deckel, an dem die Lupe befestigt ist. Milo hat schon oft Insekten darin gefangen und sie dann einige Zeit beobachtet, ehe er sie wieder freiließ. Insekten wie Käfer und Fliegen, aber auch Spinnen findet er sehr interessant. Wenn Milo mit seiner Mama spazieren geht, bleiben sie alle fünf Meter stehen, weil sie wieder irgendein Tier entdeckt haben.
Faszinierend, wie diese kleinen Tier ihre aufwendigen Netze bauen oder Ameisen sich die Wege über und zwischen Steinplatten bahnen um dann in vielen kleinen Löchern zu verschwinden. Dort unter der Erde leben sie. Die Arbeiterinnen versorgen die Ameisenkönigin mit ihre Larven. Milo würde niemals auf eine Ameise treten, wenn er es verhindern kann. Er hat schon oft gesehen wie andere Kinder das getan haben. Sehr gemein so etwas.
Mama sagt immer: „Du willst ja auch nicht, dass eine riesige Ameise auf dich tritt.

Milo ist groß für sein Alter. Fast 120 Zentimeter misst er jetzt und in diesem Sommer kommt er in die Schule. Endlich, denn der Kindergarten ist inzwischen langweilig geworden. 
O.K. Die Wald AG einmal pro Woche ist spitze. Da kann sich Milo mit all den Dingen beschäftigen die er liebt. Zauberstäbe aufsammeln und sogar ein wenig Schnitzen, unter Aufsicht der Erzieher. Tiere beobachten und mit Gummistiefeln durch Matschpfützen springen. An den Rändern der Waldwege findet er die tollsten Steine. Die steckt er in seine Jackentaschen bis sie ganz schwer herunterhängen. Mama guckt immer etwas schief und zieht eine Augenbraue hoch wenn sie die Taschen ausleert. Denn es kommen viele Steine zum Vorschein.  
Der Gedanke an die Schule erfüllt Milo mit Stolz. Er wollte schon im letzten Jahr unbedingt lesen und schreiben lernen. Dieses Jahr ist es nun endlich soweit. 
Bislang hat Mama ihn jeden Morgen zum Kindergarten gebracht. Das soll mit dem heutigen Morgen anders werden.
Milo hat beschlossen, er wird alleine gehen. Er ist so groß und kann inzwischen die Uhr lesen, dann kann er auch alleine zum Kindergarten laufen. Paul und Phillip aus seiner Gruppe machen es schließlich schon einige Wochen lang.
Der Kindergarten ist nur gute fünf Minuten Fußmarsch von Milos Haus entfernt.
Schaut man aus dem Wohnzimmerfenster, über den Garten und eine dahinter liegende Häuserreihe, kann man ihn fast sehen.
Es gibt eine Abkürzung. Wenn man in die Einfahrt des Nachbarn und durch dessen Garagenhof geht, kommt man bei der Einfahrt der gegenüberliegenden Häuserreihe wieder heraus. Von dort aus muss Milo nur eine Straße überqueren und schon ist er da. Diesen Weg gehen Mama und er auch manchmal, aber für gewöhnlich laufen sie den normalen Gehweg entlang, zweimal rechts, vorbei am großen Kirschbaum, über zwei kleine Straßen. Ganz einfach eben.
Die Kindergartentasche ist gepackt. Milo zieht seine Sandalen an und Mama bringt ihn nach unten zur Tür. Etwas aufgeregt ist er doch, trotzdem er beim Frühstück noch einmal alle Einzelheiten mit Mama besprochen hat.
Sie sagte: „ Milo, geh bitte zügig und bleib nicht überall stehen. An der Straße musst du dich gut umschauen, so wie wir es immer tun. Sabine erwartet dich um neun Uhr im Kindergarten.“ 
Mama warf ihm noch einen Luftkuss hinterher und dann ging die Haustür zu. Er geht schnurgerade den Weg durch den Vorgarten, ein paar Schritte rechts herum auf dem Gehweg und biegt gleich wieder in die Einfahrt des Nachbarn ein.
Der Himmel ist wolkenlos blau und die Sonnenstrahlen sind schon warm. In einem kleinen Grünstreifen auf dem Nachbarhof steckt ein Spaten in der Erde. Und ganz plötzlich landet  auf diesem eine schöne große Libelle. Milo geht langsam näher heran. Er möchte sie nicht erschrecken und genau betrachten. Toll! Der Tag fängt richtig gut an, findet er. Die Libelle sitzt in aller Seelenruhe oben auf dem Holzgriff und wärmt sich.  So ein schönes Tier.
Sie ist hellrot und besitzt sechs Beine, die so dünn aussehen als würden sie gleich unter ihrem Gewicht zusammenbrechen. Milo erkennt die vier glänzenden durchsichtigen Flügel. Wenn er genau hinsieht, erkennt er genau die Netzartige Beschaffenheit.
Das laute Summen mit dem sie startet reißt Milo unsanft aus seinen Beobachtungen. Er hätte gerne noch etwas länger geschaut, aber nun hebt er sein Handgelenk um auf die Uhr zu sehen. Oje, schon drei Minuten vor neun, sagt er laut zu sich selbst. Jetzt aber schnell zum Kindergarten.
Atemlos kommt er an und plappert sofort darauf los. Er ist ganz alleine gekommen und ist ganz pünktlich, stellt er beim Blick auf seine Uhr fest.
Beim zweiten Frühstück erzählt Milo noch einmal allen wie schön die Libelle war, die auf dem Griff des Spatens saß. Die Kinder hörten gespannt zu.
Morgen wird er wieder alleine laufen und sicher etwas Tolles auf dem Weg sehen.